Auf Reise

Der Totenweg – über wiedergefundene Wege über den Berg

Dann lasst uns zu Säge, Hacke und Schaufel greifen!

Das Val Prino liegt in „unserem, dem anderen Ligurien“. Anders deshalb, weil es nicht gemeint ist, wenn über Ligurien gesprochen oder geschrieben wird. Finale Ligure hat sich über Jahre den Nimbus des Pars Pro Toto erarbeitet: Wie Labello für Lippenstifte und Tempo für das Nasentüchlein. Finale steht für Biken in Ligurien. Und das ist auch gut so. Aber eben noch lange nicht alles, was Ligurien für Mountainbiker zu bieten hat.

die Weiler auf der anderen Seite des Passes… (pic Adrian Greiter)

Das Val Prino ist ein Mikrokosmos. Hier herrscht die Absenz des Nutzerdrucks. Heißt: Du fährst los, Du gehst los… und Du triffst fast keine Menschenseele. Und das auf Wegen die es seit Jahrhunderten gibt. Weil Schmuggler schmuggelten. Bauern handelten. Pilger pilgerten. Verliebte liebten. Und alle Verbindungswege brauchten. Noch Ende des vorletzten Jahrhunderts gab es hier im Tal rund 200 Maultiere, die alle auf festgelegten Routen unterwegs waren. Und man wusste wann Giovanni kam auf dem Weg ins Val Argentina und gab ihm das mit, was dahin sollte. Eine Art DHL auf vier Füßen. Und Maultiere mögen Kurven, keine Ecken. Und nun rat mal, wie diese uralten Wege gebaut sind…

Als wir erstmals hier waren war recht schnell klar: Hier schlummert ein Paradies. Nur findet man die Wege dahin nicht immer gleich. Dornen. Wälder. Pfade die im Nirgendwo verschwinden. Wanderkarten die atemberaubend daneben liegen. Für uns damals das Gefühl, Pionier in einem noch weitgehend unentdeckten Gebiet zu sein.

Picknick mit Weitblick am Monte Faudo (pic Adrian Greiter)

Immer wieder schweife ich durch die urwaldartigsaftigen Kastanienwälder zwischen Lecchiore und dem Monte Faudo mit seinen 1.143m über dem nahegelegenen Meer. Oft bin ich von den Pozze di Lecchiore, diesen teils bis zu 8m breiten und 5m tiefen türkisgrünen Gumpen, die gerade im Sommer mit ihrem kühlen Nass einladen, bergauf gestiegen. Nach allen Seiten führen hier alte Pfade auf die Höhen des Faudo oder zur Kapelle von Santa Marta. Und immer wieder entdecke ich eine kaum mehr sichtbare Wegspur inmitten der bis auf hohe Höhen durchterrassierten Hänge.

So auch vor mittlerweile vier Jahren. Eine Pfadspur schien vom Bachlauf des Val Prino unweit des Talendes zur Rechten hinauf zu führen. Nur: Wohin? In so einem Moment befällt einen der Entdeckerdrang. Natürlich ist man völlig unvorbereitet, ohne feste Kleidung, ohne Werkzeug. Und der Weg ist zugewachsen. Hier nimmt sich die Natur unweigerlich das, was nicht mehr gebraucht und genutzt wird. Bäume liegen quer und modern geduldig vor sich hin. Der Efeu errankt sich alles in ein vielfarbiggrünes Dickicht. Kein wirkliches Durchkommen. Und doch: Was hier seinen Dornröschenschlaf schläft, schwingt sich in so wunderschönen Kurven und Kehren, im steten Spiel mit dem was der Hang hergibt, hinauf.

Ich sitze im malerischen Bellissimi. Ja der Ort hat den Namen, den er verdient. Rund um Kapelle und Kirche haben sich die Menschen versammelt, um das Steigen der mongolfiera di carta zu feiern. Kunstvoll verzierte Seidenpapierballons werden hier noch nach alter Tradition mit Heißluft befüllt und feierlich der milden Luft des Val Prino übergeben. Ich sitze neben einem der heimlichen Bürgermeister des Dorfes. Charismatisch ist er. Und hat etwas zu erzählen. Ich hatte ihm gerade von diesem Weg erzählt, den wir gefunden haben. Seine Augen strahlen. „Als Kind,“ beginnt er zu erzählen, „bin ich diesen Weg viele Male gegangen. Er führt hinüber ins Nachbartal, und hinunter nach Montalto und die zahlreichen Weiler, die die sonnigen Hänge auf dem Weg dorthin zieren. Dort haben sie das angebaut, was wir hier in unserem Tal zu Mehl, Brot, Farinata und sonstigen einfachen Speisen verarbeiteten. Die Weiler gehörten zu Lecchiore und dorthin musste alles, was drüben wuchs. Und immer wenn drüben jemand seinen letzten Weg antreten musste, dann war dieses genau dieser Pfad, den Ihr gefunden habt. Eine lange Prozession war es, die hinter dem in weißen Tüchern Aufgebahrten und meist schweigend durch die Wälder schritt, bis der Tote den Friedhof in Lecchiore erreichte.“

Bellissimi – und die mongolfiera di carta (pic Mathias Marschner)

Dieses Bild möchte mir nicht aus dem Kopf, seit es der weise Mann mit seinen Worten malte. Man stelle sich diese Szene vor. Zahllose Serpentinen in einem saftiggrünen Wald, ein Pfad kunstvoll in den Berg gemalt. Und die Schlange von Menschen schweigend und würdevoll.

Mittlerweile haben wir zwei Drittel des alten Weges wieder freigelegt. Haben geschwitzt, gelacht und uns gewundert. Haben Laubberge entfernt, Dickichte besiegt und quer liegende Bäume zersägt. Die Linienführung so original wie möglich und doch hie und da mit einem gewissen gestalterischen Augenzwinkern wiederhergestellt. Unglaublich, was das einst für eine Leistung gewesen sein muss, hier die Hänge bis auf 1.000m über dem nahen Meer in Terrassen anzulegen. Mit bloßen Händen und einfachstem Werkzeug. Wir fegen im Vergleich ein wenig Laub und können uns abends kaum bewegen.

Men@Work – die Arbeit beginnt am „DeadMenTrail“ (pic Adrian Greiter)

Das oberste Drittel fehlt uns noch. Hier verliert sich die bis dahin deutlich sichtbare Pfadspur. Heißt also: zu Fuß die verschiedenen Möglichkeiten abschreiten und schauen, welche Linie wohl die Ursprüngliche gewesen sein muss. Wo sie oben mündet wissen wir, wo sie unten abzweigt auch. Und so werden wir dieses Jahr wieder ausrücken, um ligurische Historie freizulegen. Da könnte man auf die Idee kommen, dass es da Helfer und Helferinnen baucht und man gemeinsam eine Bauwoche gestalten könnte  –  mit Arbeit und Bikevergnügen, begleitet von Ligurischen Köstlichkeiten.
Könnte man…

Die Chefin und ihre Söldner (pic Adrian Greiter)

3 Dinge zum Mitnehmen:

1) Alte Wege strahlen etwas aus. Sie sind echt. Vielleicht nicht immer leicht. Aber sie haben etwas zu erzählen. Schön wenn man sie findet und wieder nutzbar machen darf.

2) Der historische Nutzen von Wegen ist es, der sie uns Bikern heute zugänglich machen. Wir haben mal überlegt, was in den Regionen, die wir gern besuchen, die Grundlage der Wege ist. In der Regel fanden wir Handel, Schmuggel, Krieg als Grundlage und Vierbeiner als Transporteure. Und diese mögen Kurven und Abwechslung. So wie wir Bergradler auch

3) Respekt walten lassen: Frage, wer den Weg kennt. versuche herauszubekommen, ob Du Hand anlegen darfst. In Regionen wie den Ligurischen Tälern ist dies im Vergleich zu unseren Breiten vergleichsweise entspannt. Aber ungefragt wirkst Du auch hier als Eindringling.

Wenn Du auch einmal diesen Weg, seine Geschichte und die all der anderen Trails im „anderen Ligurien“ fahren möchtest  –  alle Infos zu unserem TRAILCAMP Ligurien findest Du hier.

 

 

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